Vorab zu meiner Persönlichkeit: ich bin niedergelassene HNO-Ärztin im ländlichen Bereich, werde dieses Jahr 40 Jahre alt und finde die Digitalisierung grundsätzlich gut. Die Lokführer streiken, die Bauern blockieren die Straßen und erhalten öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Probleme. Diese Berufsgruppen haben nach den Streiks auch nicht mehr Arbeit. Ärzte arbeiten stumm weiter bis auf die wenigen friedlichen Demonstrationen, die in den Nachrichten kaum Erwähnung finden, oder die Praxisschliessungen an Brückentagen, an denen ohnehin viele Praxen geschlossen bleiben. Wenn unsere Praxen auch nur einen Tag kurzfristig geschlossen werden, haben wir an den darauffolgenden Tagen zu den täglichen Überstunden noch mehr Arbeit. Die Patienten werden ja nicht weniger. Die Fahrgäste, die an einem Tag wegen des Streiks nicht Zugfahren konnten, fahren am nächsten Tag ja nicht die doppelte Strecke. Ihre Serie und Ihre Lösungsvorschläge sind für mich als junge, motivierte Ärztin einfach nur erschreckend! Sie missachten den allerwichtigsten Aspekt, den jeder Mediziner im Studium lernt: Die Wichtigkeit der Arzt-Patienten Bindung. Menschen werden nicht gesund, indem man ihnen eine elektronische AU ausstellt oder ihnen ihre E-Rezepte ohne Praxisbesuche ausstellt. Das persönliche Arzt-Patienten Gespräch ist das wichtigste Tool für die Genesung des Patienten. Nur durch Körperkontakt (Händeschütteln), Blickkontakt und aufmerksames Zuhören fühlt sich ein Patient erst einmal wahrgenommen. Z.B.: 86 jähriger Pat. hat Schwindel und muss zum HNO Arzt. Mit Hilfe seiner Kinder füllt er - wie von Ihnen empfohlen - einen digitalen Anamnesebogen aus. Dieser wird vom Arzt gelesen und von der MFA in die Karteikarte übernommen. Er kommt nun in die Praxis und braucht seine Beschwerden nicht mehr zu berichten, da ja der Anamnesebogen vorliegt. (Alleine das versteht ein 86 Jähriger kaum! Meine Oma ist bis heute überrascht , wenn ich mit meinem Smartphone ein Foto mache und es ihr zeige „wie hast du das denn so schnell entwickelt“ kommt dann jedesmal als Kommentar) Also wird er trotzdem seine Geschichte erzählen wollen. Wenn ich nur aufgrund des Anamnesebogens Testungen veranlasse und Medikamente verordne wird das nicht helfen, wenn wichtige Dinge im wahrsten Sinne des Wortes „nicht gehört“ werden. Wie es bei uns (noch) läuft: Gleicher Patient kommt mit Schwindel und berichtet unter Tränen, dass er den Schwindel seit der Beerdigung seiner Frau, mit der er 63 Jahre verheiratet war, hat. Hier hilft keine Telemedizin…. hier helfen nette und liebe Worte und manchmal auch einfach nur Schweigen und die Hand drücken. Dies tut dem Patienten gut, und er kommt im selben Quartal noch zweimal vorbei, um etwas Trost zu finden. Diesen bekommt er auch - aber aufgrund der Bugetierung bekomme ich als Ärztin dafür kein Geld, und es frisst Zeit, die ich für die Versorgung meiner anderen Patienten hinten dranhängen muss. Nächstes Beispiel: Patient mit chronischer Ohrentzündung muss mindestes 3-4 Mal im Quartal in die Praxis kommen. 1x wird es honoriert, die übrigen Male arbeite ich umsonst. Da hilft keine Telemedizin und keine email vom Patienten, in der drinsteht, dass immer noch Flüssigkeit aus seinem Ohr läuft. Er muss in die Praxis, ich muss mit einem Mikroskop ins Ohr schauen und dann häufig das Ohr absaugen und Medikamente lokal einbringen. Letztes Beispiel: Wenn ich einen Patienten zum CT oder MRT schicke und im Anschluss die Befundbesprechung telefonisch durchführe, ist es deutlich mehr Aufwand für mich als Ärztin, als wenn der Patient zu mir in die Praxis kommt. Wenn ich ihn nach meinem eigentlichen Feierabend anrufe und Dinge bespreche, muss ich diese danach noch in der Karteikarte dokumentieren. Dann müssen die besprochenen Dinge auch umgesetzt werden wie Überweisung oder Einweisung oder Rezept ausstellen. Da nur ich als Ärztin telefoniert habe, und die MFAs ja nicht mithören, bleibt dies auch an mir hängen! Oder ich gebe es an eine MFA weiter, was den selben zeitfressenden Effekt hat. Kommt der Patient jedoch in meine Praxis, können wir die Bilder gemeinsam besprechen, und meine MFA dokumentiert gleichzeitig alles in der Karteikarte. Nach Beendigung des Gespräches liegt auch schon das Rezept oder die Überweisung oder die Einweisung parat. Dies ist deutlich zeiteffektiver, und der Patient fühlt sich vor Ort wieder wahrgenommen als Mensch! Es ist einfach nur traurig zuzusehen, welche sinnbefreiten Vorschläge von Ihnen kommen! Die Kosten einer Arztpraxis steigen derzeit ins Unermessliche - Versicherungen, PVS Systeme, Hygiene, Heizkosten, Wartungen der Medizingeräte, Löhne der MFAs - , und das Arztgehalt wird weiter gekürzt! Und da fragen Sie sich ernsthaft, wieso es keinen Nachwuchs gibt? Nach nun 6 Jahren in der Niederlassung macht mir mein Beruf unter diesen Umständen keinen Spaß. Zeitdruck, keine Termine für Patienten, die wirklich einen brauchen, wenig Einnahmen und am Ende des Tages übermüdet nach 12 Stunden Arbeit nach Hause kommen. Ändern kann ich die Grundsituation leider nicht. Ich kann nur meine persönliche Situation ändern und meine Praxis schweren Herzens aufgeben. Bei dem derzeitigen Arbeitsmarkt gibt es viele andere Möglichkeiten für mich. Wer auf der Strecke bleibt sind die Patienten - aber Hey, die können sich ja per Telemedizin mit ihrer Trauer, ihren laufenden Ohren oder anderen Beschwerden an Sie wenden. Danke fürs bis zum Ende lesen. Dr. Berit Verspohl heinsberg-magazin.de/2023/12/09/besuch-von-marcus-johnen-in-der-hno-praxis-verspohl-in-wegberg/
@martenwiersma2772 Жыл бұрын
Faszinierend, wie präzise und umfassend neue Wege in chronic-care-concepte zu finden, bei der lokale Pflegepräsenz mit im Boot sitzt - zusammen mit der Nutzer hybrider Gesundheitskompetenz in Form pflegesensible Betreuungsleistung, die ihre Gesundheitskompetenz n. § 35a SGB XI gut zu realisieren wissen.
@renatebolz-gaukel5931 Жыл бұрын
Dr. Mücke
@renatebolz-gaukel5931 Жыл бұрын
Der Interviewer redet zu viel Ich hätte lieber mehr von Mücke gehört. Schade !