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Christian Felix Weiße: Der Aufschub
Morgen, morgen, nur nicht heute!
Sprechen immer träge Leute,
Morgen! Heute will ich ruhn:
morgen jene Lehre fassen,
morgen diesen Fehler lassen,
morgen dies und jenes tun!
Und warum nicht heute? Morgen
kannst du für was anders sorgen!
Jeder Tag hat seine Pflicht.
Was geschehn ist, ist geschehen:
dies nur kann ich übersehen;
was geschehn kann, weiß ich nicht.
Wer nicht fortgeht, geht zurück;
unsre schnellen Augenblicke
gehn vor sich, nie hinter sich.
Das ist mein, was ich besitze,
diese Stunde, die ich nütze;
die ich hoff‘. Ist die für mich?
Jeder Tag, ist er vergebens,
ist im Buche meines Lebens
nichts, ein unbeschriebnes Blatt!
Wohl denn! Morgen, so wie heute,
steh‘ darin auf jeder Seite
Von mir eine gute Tat.
Illustration: Johann Grün
Christian Felix Weiße wurde am 28. Januar 1726 wurde in Annaberg (Erzgebirge) geboren. Er war Dichter, Schriftsteller und Pädagoge und gilt als einer der bekanntesten Vertreter der Aufklärung.
In Leipzig studierte er Philologie und Theologie und lernte während seines Studiums u.a. Christian Fürchtegott Gellert, Gotthold Ephraim Lessing und Friederike Caroline Neuer kennen.
Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Hauslehrer, später als Gesellschafter des Grafen Schulenburg.
Seine Lyrik wurde u.a. von Wolfgang Amadeus Mozart vertont und erfreute sich großer Beliebtheit.
Ab 1775 verlegte er die erste Kinderzeitschrift Deutschlands, "Der Kinderfreund". Deshalb gilt Weiße als Begründer der deutschen Kinder- und Jugendliteratur.
Die ersten beiden Verse seines Gedichts "Der Aufschub" wurden zum geflügelten Wort und werden als solches heute noch verwendet. Dass die Zeilen aus einem Weiße-Gedicht stammen, weiß freilich kaum jemand.
Christian Felix Weiße starb am 16. Dezember 1804 in Stötteritz (heute ein Stadtteil von Leipzig).
#Prokrastination #Gedicht #Lyrik