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Prof. Dr. Miroslav Šedivý (Universität Pardubice, Tschechien) skizziert in seinem Vortrag die politische Mentalitätsgeschichte einer Generation von europäischen Politikern, die um 1815 geboren wurde und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Ämter übernahm. Als herausragende Beispiele nennt er unter anderem Otto von Bismarck und dessen italienisches Alter Ego Francesco Crispi.
Nach dem Wiener Kongress 1815 habe in Europa zunächst allgemein eher die Zuversicht vorgeherrscht, dass eine stabile außenpolitische Ordnung geschaffen worden sei. Dieser Eindruck habe sich mit der Rheinkrise 1840 in sein Gegenteil verkehrt. Viele der „Generation Bismarck“ hätten den Eindruck gewonnen, dass in der internationalen Politik statt der geschlossenen Verträge eher das Faustrecht gelte. Ihr Stichwortgeber sei der Publizist August von Rochau geworden, der den Begriff „Realpolitik“ prägte. Prof. Dr. Šedivý zeigt auf, dass die Realpolitik von der „Generation Bismarck“ als pragmatische Machtpolitik verstanden wurde, zu deren Mitteln auch der Krieg zählte. Diese Ausprägung des politischen Denkens sei vor allem damit zu erklären, dass diesen Politikern die blutige Erfahrung der Napoleonischen Kriege gefehlt habe - anders als der älteren Generation, zu der der österreichische Außenminister Clemens von Metternich gezählt habe. Dieser habe auf die Rheinkrise mit einer Friedensinitiative reagiert.
Der Preuße Otto von Bismarck und der Sizilianer Francesco Crispi hätten aus der Rheinkrise und einigen Kriegen dagegen den Schluss gezogen, dass die machtpolitischen Interessen ihrer jeweiligen Länder nur in einem größeren Nationalstaat verteidigt werden könnten. Beide seien - als preußischer bzw. sizilianischer Patriot - zu wichtigen Protagonisten der Nationalstaatsgründung in Deutschland und Italien geworden. Dabei seien ihnen der Einsatz von militärischen Mitteln sowie die geografische Expansion als legitim erschienen. Prof. Dr. Šedivý verweist hier nicht nur insbesondere auf den Deutsch-Dänischen Krieg 1864, den Deutschen Krieg 1866 und den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Seiner Ansicht nach ist diese preußisch-deutsche Real- bzw. Machtpolitik auch in der Zeit nach Bismarck außenpolitisch handlungsleitend geblieben und hat im Jahr 1914 zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beigetragen.
Prof. Dr. Miroslav Šedivý nennt am Ende seines Vortrags folgende seiner Publikationen:
The Victory of Realism: The German Quest for International Security 1839-1853, Leiden/Paderborn 2024
brill.com/disp...
Si vis pacem, para bellum. The Italian Response to International Insecurity 1830-1848, Wien 2021
verlag.oeaw.ac...
‚Kosmopolitischer Idealismus‘ und ‚nationale Realpolitik‘: Aspekte der Sicherheitspolitik der deutschen Liberalen zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift (noch nicht erschienen)