Köln - Antoniterkirche - Glockenbeiern und Vollgeläut zum 30. Kolloquium zur Glockenkunde 2023.

Im „Rom des Nordens“ war es im Mittelalter bis zur Neuzeit mit der Religionsfreiheit nicht weit her. Zu nennen sind das Kölner Judenprogrom 1349, die öffentliche Verbrennung der Reformatoren Clarenbach und Fliesteden 1529 und auch der Kölner Toleranzstreit 1787-89. Zwar existierten im Verborgenen bereits seit dem 16. Jh. 4 reformatorische Gemeinden, bis zur Möglichkeit des öffentlichen Glaubensvollzuges sollte es jedoch noch bis 1802 dauern. Durch die durch französische Revolutionstruppen erwirkte Säkularisation der Klöster und Stifte und die erlangte Glaubensfreiheit der Religionen konnten sich die Kölner Protestanten Kirche und Kloster der Antoniter-Chorherren an der Schildergasse (von Schilder- und Wappenmalern) zum Gebrauch aussuchen. Nach Umbauten zu einer Predigtkirche nach Plänen von Franz Ferdinand Wallraf wurde die Antoniterkirche am Sonntag Rogate 1805 als erstes, evangelisches Gotteshaus Kölns in Gebrauch genommen.
Die Antoniter waren ein 1095 gegründeter Bettel- und Pflegeorden, hervorgegangen aus einer Laienbruderschaft, 1777 größtenteils dem Malteserorden eingegliedert. Das Kölner Kloster war bei der Säkularisation nur noch von wenigen Brüdern besetzt. Die Klosterkirche wurde 1350 bis ~1378 errichtet und dem Ordenspatron, dem hl. Antonius dem Großen, geweiht. Im 19. Jh. wurde die Kirche restauriert und neogotisch ergänzt, nach Kriegszerstörungen 1942 erfolgte von 1946-52 der Wiederaufbau, 1961-64 um den schlichten Westbau ergänzt. In dieser Form, mehrfach saniert, zeigt sich die Kirche bis heute, als kristallin wirkender, gotischer Bau, von guter aber auch belangloser Architektur der Einkaufsstraße Schildergasse umgeben. Erläuterungen zur Ausstattung finden sich bei den Fotos im Beitrag.
Bekanntheit erlangte die Kirche durch die sog. „Politischen Nachtgebete“, zum Katholikentag in Essen 1968 erstmals abgehalten, ins Leben gerufen vom ökumenischen Arbeitskreis Köln. Heute ist die Antoniterkirche Heimat einer offenen, pluralistischen, einladenden Gemeinde mit mannigfaltigem Gottesdienstangebot und einer für evangelische Kirchen ungewöhnlich reichen Liturgie.
Über die mittelalterlichen Glocken der Kirche ist nichts bekannt. 1771 goss der aus Malmedy stammende Gießer Martin Legros, im Jahr des Erwerbs seiner Kölner Bürgerschaft, 2 Glocken für den Dachreiter, über die nichts näheres bekannt ist. Beide Glocken schmolzen bei der Kriegszerstörung der Kirche 1942. Nach dem Wiederaufbau kamen 1956 drei gekröpft geläutete Glocken d‘‘ e‘‘ g‘‘ aus der Gießerei Rincker im hessischen Sinn in den Dachreiter. Das wenig durchmischte Geläut wurde wegen statischer Probleme des Türmchens ~2015 stillgelegt. Geplant wurde zunächst der Wechsel auf die historische Zweistimmigkeit durch einen Neuguss, ausgeführt 2015 durch die Eifeler Glockengießerei Mark in Brockscheid. Bereits bei den beiden Dachreiterglocken wurden lateinische Inschriften und klassische Zier - in ökumenischer Verbundenheit - gewählt. 2017 folgte der Guss der 4 Glocken für das Westwerk, ebenfalls in Brockscheid. Das Geläut hängt in einem handwerklich sehr schön gearbeiteten Stuhl unter dem Dachgiebel. Zusätzlich eingebrachte Schallöffnungen suchen die unterschiedliche Dynamik der beiden Geläuteteile auszugleichen. Neben der unterschiedlichen Schallabstrahlung ist aber auch die degressiv-progressive Rippengestaltung ein Problem. Gleichwohl ist das neue Antonitergeläut ohne Beispiel, die Dreifaltigkeitsglocke gehört zu den Höhepunkten der Glockenlandschaft Kölns.
Zu hören sind zwei Abschnitte des Beierns zum Morgengebet zum Kolloquium zur Glockenkunde, Abschnitt 2 bringt ein sehr dynamisches, kunstvolles Einstoßen zu einer schwingenden Glocke zu Gehör. Anschließend folgt das Westwerkgeläut, später zum Vollgeläut erweitert.
Geläutedaten:
Dreifaltigkeit b‘, 1020 mm, 810 kg
Christus c‘‘, 960 mm, 440 kg
Apostel des‘‘, 760 mm, 290 kg
Reformation/Luther es‘‘, 680 mm, 200 kg
Maria und Michael f‘‘, 163 kg
Antonius as‘‘, 123 kg
Glockenbeiern: Matthias Braun, Burgdorf. Assistenz: Bernd Baßfeld, Gummersbach.
Aufnahme: 06.05.2023
Fotos, wenn nicht anders angegeben, eigener Provenienz.
Verwendete Quellen/Literatur:
H. FUßBROICH: Die Antoniterkirche in Köln (Kirchenführer). Heft 49 der Reihe Rheinische Kunststätten, 2. Auflage, Köln 1991.
R. PFEIFFER-RUPP: Ein Glockenlandschaftszugehörigkeitswechsel in der Kölner Innenstadt und die Nachbarschaftsabstimmung. In: Jahrbuch für Glockenkunde, 27.-28. Band, DEUTSCHES GLOCKENMUSEUM E. V. (Hrsg.), Gescher 2016.
R. PFEIFFER-RUPP: Die Vervollständigung des Dachreitergeläutes der Kölner Antoniterkirche durch ein klangabstrahlungsbeschränktes Dachstuhlgeläute. In: Jahrbuch für Glockenkunde, 31.-32. Band, DEUTSCHES GLOCKENMUSEUM E. V. (Hrsg.), Gescher 2020.
Netzauftritt der Kirchengemeinde an der Antoniterkirche, konsultiert am 12.05.23: antonitercityk...
K.-H. GÖTTERT, E. ISENBERG: Orgeln in Köln - Ein Rundgang zu 70 Instrumenten. J. P. Bachem Verlag, Köln 1998.

[@martinboes2232]

Das ist ein ganz wunderbares Dokument. Danke fürs Aufnehmen und Teilen! Herzliche Grüße!

[@stahlglocke]

Lange nichts von Dir gehört - umso mehr Danke für's Feedback!

[@vesperglocke684]

Das Geläut ist in dieser Aufnahme ein absoluter Traum. Betörend schön und beim Beiern entstehen nahezu sphärische Klänge. Bei aller Kritik in der realen Situation und Aufhängung.

[@stahlglocke]

Ähnliche Empfindungen... 🙂

[@vesperglocke684]

@@stahlglocke Gute Empfindungen 😉

[@Piccolofloete]

Das Beiern war klasse! Schade, dass die beiden Dachreiterglocken alles niederbrüllen. Wahrscheinlich würde eine Kombination aus leichteren Klöppeln und Schallläden zu einem wesentlich besseren Gesamteindruck führen.

[@stahlglocke]

Ja, das war es in der Tat! Möglich, dass leichtere Klöppel da etwas bringen würden. Gegen einen kompletten Verschluss des Dachreiters würde sicher die "Denkmalpflege" stimmen. Aber immerhin den jetzt schon mit Leisten versehenen, unteren Teil könnte man noch weiter verschließen und somit den Direktschall abmildern.

[@HansKlone-cn6tm]

❤ Das Geläut der Dorfkirche Steinhagen gibt mit seinem Bronzeglocken ein Stimmiges Geläut in seiner Tonqualität wieder zum Wohle ihrer Gemeinde.

[@martinluther4971]

Wie schon bei einem anderen - älteren - Video zu diesem Geläute geschrieben, ist die getrennte Aufhängung eines einheitlichen Geläutes im offenen Dachreiter und - hier besonders fatal - in einer Dachkammer immer problematisch. Beispiele, wo einzelne kleine, offen aufgehängte Dachreiterglocken das ganze restliche Geläute übertönen, gibt es genug. Man hat das hier sehenden Auges so gewollt und konzipiert, dann muss man halt damit leben. Warum man allerdings die Rinckerglocken, die weder alt noch schlecht waren, hier kurzerhand entfernt hat, bleibt wohl nach wie vor ein Rätsel bzw. Geheimnis...

[@stahlglocke]

Dem gibt es nicht viel hinzuzufügen. Ich könnte allerdings als Gottesdienstteilnehmer UND Glockenfreund gut damit leben. Es ist halt so wie es ist, und es ist alles andere als langweilig.

Es war schon ein beeindruckendes Erlebnis. Ich kann mich nur nach wie vor nicht mit den Dachreiterglocken anfreunden. Im Zusammenklang sind die einfach zu grell. Ob leichtere Regenschirmklöppel, wie bei den Westwerkglocken da Abhilfe schaffen würden?

[@stahlglocke]

Möglich, ich würde eben zusätzlich für den Verschluss des jetzt schon durch die Leisten gekennzeichneten, unteren Bereich des Dachreiters plädieren. Einen Versuch mit "Sperrholzplatten" wäre es allemal wert.

[@vesperglocke684]

​@@stahlglocke Ein Versuch wäre es allemal wert.

[@GKD2015]

Wenn das jetzt noch ein schönes Geläute wäre, würde die Kirche mit dieser Disposition auch etwas ganz einmaliges in der Kölner Innenstadt darstellen. Ist es jetzt auch, aber etwas, was ich jetzt nicht als Bereicherung sehen würde. Leider gefallen mir die Glocken absolut nicht.

[@stahlglocke]

Kunst liegt eben im Auge des Betrachters oder in diesem Fall im Ohr des Hörenden. Ich mags, trotz aller Mängel.

[@vesperglocke684]

Tja, Geschmackssache, wie so vieles.

[@Engerlingraucher]

...ein in sich völlig unstimmiges Geläut in einer theoretisch wunderschönen Disposition. Die "Rippenregression" verstehe ich bis heute nicht - sie tut dem Geläut absolut nicht gut. Der Glockengießerei Mark ist m. E. mit diesem Ensemble kein besonders großer Wurf gelungen. Lediglich die b' kann als sehr klangvolles Instrument zumindest solistisch überzeugen...

[@stahlglocke]

Ein so hartes Gericht will ich da nicht halten, aber die offenen Fragen bleiben, ja. Ich halte die beiden Dachreiterglocken - für sich - für sehr gelungen, die b' lässt mir immer wieder einen Schauer über den Rücken laufen. Rein klanglich sind wohl c'', des'' und es'' ein "Problem", was ja auch im Anläuten irgendwie rüberkommt. Auf der einen Seite verstehe ich den Wunsch der Antonitergemeinde, mit ihrer Präsenz und dem reichen, gottesdienstlichen Leben, nach einer deutlicheren und größeren Stimme im Kölner Glockenchor, andererseits hätte es aus denkmalpflegerischer Sicht, und wenn möglich, eine statische Ertüchtigung des Reiters und eine Ergänzung um a'' oder h'' auch getan. Und: wann, außer Sonntagsmorgens um 7, hört man im Innenstadtbereich heraus, ob die Glocken nun auf St. Aposteln und St. Peter oder auf den Dombereich abgestimmt sind? Aber ich hab trotz allem meine Freude an diesem Geläut!

...der unreine Halbton gibt halt noch mal fast zu viel 'Gewürz' rein...

[@stahlglocke]

@ Die genauen Werte sind ja nirgendwo offiziell nachzulesen. Lt. Quelle 3 (nach den Oktaven) +1 zu +7.

@@Noahh370 Das würde ich tatsächlich gar nicht empfehlen...

[@stahlglocke]

@Noah John Nein?! Wir sind hier nicht bei Zalando, wo man nicht gefällige oder nicht passende Sachen einfach mal zurückschicken kann! Eine Entscheidung darüber könnte allenfalls die Kirchengemeinde, vermutlich unter Verprellung der Stifter, fällen. Nur, weil vielen glockenmusikalisch befassten KZbinrn (oder anderen) dieses oder jenes am Geläut nicht gefällt heißt das noch lange nicht, dass das Geläut tatsächlich schlecht ist. Es ist halt ein Bild vom Wollen und vom Vollbringen. Und genormtes, perfektes haben wir mittlerweile mehr als genug!