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Christina Meißner, Violoncello
Recorded at Dorfkirche Obergrunstedt, 2022
Audio-/Videoproduktion: Alexander Naji
Das "Requiem" ist ein ganz sonderbares Klanggebilde, das sich oft nur dann, wenn es bereits fast vorüber, als Erinnerung erschließt. Zu eng ist es in menschlichen und fast täglichen Klangritualen verhaftet, die sich bei genauerem Hinhören als zutiefst musikalische Prozesse entpuppen. Es ist die Überzeugung des Komponisten, dass gerade in der "plötzlichen Poesie des Alltäglichen" ein Weg zu einer "menschlichen Ästhetik" liegt. Die Erfahrung jener unendlich kurzen und wundervollen Momente einer echten Freude, die alles Zeitliche vermissen lassen und niemals greifbar und haltbar sind, mögen Urbild für dieses Denken sein. Diese "menschliche Ästhetik" äußert sich weiterhin im gleichberechtigten Umgang mit allen Elementen des menschlichen Hörens: Stille, Geräusch und Klang. So wird die Vision einer Musik und eines Musizierens möglich, die jene seltsame "Polyphonie der Stille" - die sich sonst nur in den existentiellsten Momenten des eigenen Lebens offenbart - aus dem Unhörbaren in das Hörbare zu rücken vermag. ("hören Sie nicht diese entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit und die man gewöhnlich die Stille nennt?" - G. Büchner: "Lenz")
Zwingend impliziert diese "menschliche Ästhetik" auch das Bewusstsein über die "Schönheit des Scheiterns", die dem menschlichen Unvermögen Raum gibt, jene kurzen Momente echter Freude nie durch eigenes Können und Wollen zu erreichen - wobei gerade in dieser Krise des eigenen Scheiterns, in wundervoller Dialektik, der Moment des eigentlichen Geheimnisses liegt.
Frei nach dem Philosophen Jean Paul gesprochen: nur in der Musik begegnen wir schon im einzelnen Klang den Wundern unserer Existenz. Der einzelne Klang wird zum Spiegel unserer eigenen Geburt, unseres bewegten Lebens bis hin zu unserem eigenen Tod in dessen Verklingen und öffnet so den Zwischenraum des Unvorstellbaren. So begleitet das "Requiem" einen sterbenden Klang auf seinem Weg in die Stille und wird selbst zu einer Musik des uneindeutigen Zwischenraumes. Die Struktur des Werkes entspricht hierbei dem liturgischen Ablauf der katholischen Totenmesse, vom "Introitus" über das "Dies irae" bis hin zum abschließenden "In paradisum". Gleichsam wie dieses jahrhundertealte Ritual die stillen Gedanken eines Trauernden ins Bewusste hebt, so wird es hier zum gedanklichen Rahmen für eine innerste Klangwelt voller Beziehungen in irrationaler Konsequenz.
Unscheinbare Musik, die weder das "virtuose Spielen" einfordert, noch ein Publikum zum "virtuosen Hören" anregt, sondern zuletzt ein "virtuoses Empfinden" erlaubt, mit den Worten Max Regers "neue Seelenstimmungen" hervorruft, und - wenn sie denn überhaupt wahrgenommen wird - ganz in der Stille wirksam wird.