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"Das brave Lenchen" stammt aus dem Buch "Sechs Geschichten für Neffen und Nichten" von Wilhelm Busch aus dem Jahre 1884.
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Text:
Das brave Lenchen
Auf dem Schlosse fern im Holz
wohnt eine Frau gar reich und stolz.
In einem Hüttchen arm und klein
wohnt Lenchen und ihr Mütterlein
Das Mütterlein ist schwach und krank
und ohne Geld und Speis und Trank.
Da denkt das Lenchen: "Ach, ich lauf
um hülfe nach dem Schloß hinauf!"
Es nimmt sich nichts wie einen Schnitt
vom allerletzten Brote mit.
Und wie es kommt bis an den Steg,
sitzt da ein armer Hund am Weg.
"Ach - ruft der Hund - mein Herr ist todt;
hätt ich doch nur ein Stückchen Brot!"
"Hier! - spricht das Lenchen - hast du was!"
zieht's Brod hervor und gibt ihm das.
Und wie es weiter fortgerannt,
liegt da ein Fisch auf trockenem Sand.
Ach! - ruft der Fisch und zappelt sehr -
Wenn ich doch nur im Wasser wär!"
Gleich bückt das Lenchen sich danach
und trägt ihn wieder in den Bach.
Dann ist es weiter fortgerannt,
bis es die Frau im Schlosse fand. -
"Ach, liebe Frau, erbarmt euch mein,
ich hab ein krankes Mütterlein!"
"Fort! - schreit die Frau - Nichts giebt es hier!"
und jagt das Lenchen vor die Thür.
Das Lenchen sieht vor Thränen kaum
und setzt sich stumm an einem Baum.
Und horch, im hohlen Baum erklingt
ein feines Stimmlein, welches singt:
"Mach auf, mach auf, ich bitt gar schön,
möcht gern die liebe Sonne sehn!"
Im Baum da ist ein Löchlein rund,
ist zugesteckt mit einem Spund.
Den zieht das Lenchen aus und spricht:
"So kommt an's Licht, du armer Wicht!"
Sie da, und eine Schlange schmiegt
sich aus dem Baum hervor und kriecht
und schlingt und schlängelt mit Gezisch
sich in das dichte Waldgebüsch,
und raschelt da herum und kam
und brachte ein Blümlein wundersam.
O Krankentrost, du Blümlein roth,
Herztupilan, hilf aus der Noth!
Das Lenchen nimmt das Blümlein an
und eilt nach Haus so schnell es kann.
Und wie es kommt bis über'n Steg,
tritt ein Räuber in den Weg.
Dem armen Lenchen stockt das Blut,
läßt 's Blümlein fallen in die Fluth.
Da kommt der Hund und jagt zum Glück
den Räuber in den Wald zurück.
Und unser Fisch ist auch nicht faul;
Er trägt die Blume in dem Maul.
Jetzt läuft das Lenchen schnell hinein
zum lieben kranken Mütterlein,
legt's Blümlein ihr auf Herz und Mund,
macht's Mütterlein sogleich gesund;
heilt auch noch sonst viel kranke Leut
und ist aus aller Not befreit.
Der Räuber aber hat bei Nacht
die Frau im Schlosse todtgemacht.
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Quelle: Sechs Geschichten für Neffen und Nichten [1884]. Digitalisiert durch die Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg Frankfurt am Main [2022]:urn:nbn:de:hebis:30:2-444040