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Joachim Ringelnatz: Fußball
nebst Abart und Ausartungen
Der Fußballwahn ist eine Krank-
Heit, aber selten, Gott sei Dank.
Ich kenne wen, der litt akut
An Fußballwahn und Fußballwut.
Sowie er einen Gegenstand
In Kugelform und ähnlich fand,
So trat er zu und stieß mit Kraft
Ihn in die bunte Nachbarschaft.
Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel,
Ein Käse, Globus oder Igel,
Ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar,
Ein Kegelball, ein Kissen war,
Und wem der Gegenstand gehörte,
Das war etwas, was ihn nicht störte.
Bald trieb er eine Schweineblase,
Bald steife Hüte durch die Straße.
Dann wieder mit geübtem Schwung
Stieß er den Fuß in Pferdedung.
Mit Schwamm und Seife trieb er Sport.
Die Lampenkuppel brach sofort.
Das Nachtgeschirr flog zielbewusst
Der Tante Berta an die Brust.
Kein Abwehrmittel wollte nützen,
Nicht Stacheldraht in Stiefelspitzen,
Noch Puffer außen angebracht.
Er siegte immer, 0 zu 8.
Und übte weiter frisch, fromm, frei
Mit Totenkopf und Straußenei.
Erschreckt durch seine wilden Stöße,
Gab man ihm nie Kartoffelklöße.
Selbst vor dem Podex und den Brüsten
Der Frau ergriff ihn ein Gelüsten,
Was er jedoch als Mann von Stand
Aus Höflichkeit meist überwand.
Dagegen gab ein Schwartenmagen
Dem Fleischer Anlass zum Verklagen.
Was beim Gemüsemarkt geschah,
Kommt einer Schlacht bei Leipzig nah.
Da schwirrten Äpfel, Apfelsinen
Durch Publikum wie wilde Bienen.
Da sah man Blutorangen, Zwetschen
An blassen Wangen sich zerquetschen.
Das Eigelb überzog die Leiber,
Ein Fischkorb platzte zwischen Weiber.
Kartoffeln spritzten und Zitronen.
Man duckte sich vor den Melonen.
Dem Krautkopf folgten Kürbisschüsse.
Dann donnerten die Kokosnüsse.
Genug! Als alles dies getan,
Griff unser Held zum Größenwahn.
Schon schäkernd mit der U-Bootsmine -
Besann er sich auf die Lawine.
Doch als pompöser Fußballstößer
Fand er die Erde noch viel größer.
Er rang mit mancherlei Problemen.
Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen?
Dann schiffte er von dem Balkon
Sich ein in einem Luftballon.
Und blieb von da an in der Luft,
Verschollen. Hat sich selbst verpufft. -
Ich warne euch, ihr Brüder Jahns,
Vor dem Gebrauch des Fußballwahns!
Illustration: Johann Grün
Joachim Ringelnatz kam am 7. August 1883 in Wurzen (bei Leipzig) als Hans Gustav Bötticher zur Welt. Seine Eltern waren beide Künstler. Der Vater war Musterzeichner und Autor, der Kontakt zu Emanuel Geibel, Gustav Freytag, Conrad Ferdinand Meyer, Gustav Raabe und Theodor Fontane hatte. Die Mutter war Zeichnerin und nähte Puppenkleidung. Die Familie war wohlhabend und beschäftigte zwei Dienstmädchen.
Hans Gustav eiferte vor allem dem Vater nach.
Während seiner Schulzeit litt der Junge sowohl unter den Lehrern ("respektfordernde Dunkelmenschen") als auch unter den Mitschülern, die ihn wegen seines Aussehens hänselten. Hans Gustav reagierte mit Trotz und Rückzug. Als Quintaner (6. Klasse) verließ er während der Unterrichtszeit das Schulgelände und ließ sich auf einer Völkerschau von einer Samoanerin tätowieren. Vor seinem Lehrer gab er damit an und flog daraufhin vom Gymnasium. Anschließend besuchte er eine private Realschule. Auf seinem Abschlusszeugnis war vermerkt, dass er "ein Schulrüpel ersten Ranges" gewesen sei.
1901 wurde er auf eigenen Wunsch Seefahrer. Doch seine Zeit an Bord war weniger schön als er sich das vorgestellt hatte: Er wurde wieder aufgrund seines Aussehens gemobbt und z.B. als "Nasenkönig" bezeichnet. In Britisch-Honduras türme er deshalb vom Schiff, verlief sich im Urwald und wurde gefunden - auf der Rückfahrt nach Hamburg musste er noch schlimmere Schikanen erleiden. Zurück in Hamburg arbeitete er u.a. als Riesenschlangenträger. Während seiner Zeit als Seemann übte er über 30 Nebenberufe aus.
Zwischenzeitlich war er immer mal wieder arbeitslos und litt Hunger.
1909 trat er erstmals in der Münchner Künstlerkneipe Simplicissimus auf - dies war ein Wendepunkt in seinem Leben. Er war fortan Kabarettist und Schriftsteller.
1919 nutzte er erstmals das Pseudonym Joachim Ringelnatz. Er selbst gab an, dass dieses Pseudonym keine Bedeutung habe. Es wird allerdings vermutet, dass der Nachname entweder auf die Ringelnatter Bezug nimmt, die sich sowohl zu Lande als auch zu Wasser aufhält. Einer anderen Theorie zufolge bezieht sich der Name auf das von Seeleuten "Ringelnass" genannte Seepferdchen, das Ringelnatz oft zeichnete und dem er ein Gedicht widmete. Joachim ("Gott richtet auf") nannte er sich aufgrund seiner Gläubigkeit.
1933 verhängten die Nationalsozialisten ein Auftrittsverbot. Seine Bücher wurden verbrannt. Seine Frau und er verarmten und Ringelnatz erkrankte an Tuberkulose. Er starb am 17. November 1934 im Alter von nur 51 Jahren in Berlin.
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