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Eva Lindenau spricht mit Winfried Kretschmann (B'90/Grüne, Ministerpräsident Baden-Württemberg) u. a. über gesellschaftliche Veränderungen, das Wachstumschancengesetz und über seine Nachfolge im Amt in zwei Jahren.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (B'90/Grüne) hat einerseits um Verständnis für seine Partei geworben, die einen politischen und gesellschaftlichen Veränderungskurs beschreite, andererseits aber auch davor gewarnt, die Menschen über Gebühr zu belasten. „Wir sind die Speerspitze derer, die sagen, wir müssen uns ändern“, äußerte sich der Grünen-Politiker im Fernsehsender phoenix und nannte als Beispiel den Klimaschutz.
Doch bei diesen Veränderungen müsse man die Bürger auch mitnehmen. „Wenn man die Menschen mit Reformen überfordert, weil sie zu schnell gehen und zu tief sind, zu sehr in persönliche Lebensverhältnisse eingreifen, dann entsteht dagegen Widerstand“, sah Kretschmann darin den Grund für den Gegenwind, den seine Partei derzeit spüre. „Im Moment sind wir der Prügelknabe der Nation, alles wird auf uns abgeladen.“
Diese Veränderungsnotwendigkeit ist aus Kretschmanns Sicht auch der Ursprung für die Stärkung des rechten Randes im Parteienspektrum. „Rechtspopulismus kennt nur den Rückwärtsgang und will zurück in die Vergangenheit.“ Unter vielen Menschen gebe es eine Sehnsucht nach Ruhe, nach einem Ende von Krisen und Herausforderungen. „Und wir sind diejenigen, die den Leuten sagen müssen, es wird so nicht funktionieren. Dadurch sind wir etwas ins Abseits geraten.“ Grundsätzlich habe die Aggressivität in der Gesellschaft zugenommen. Das habe sich auch in massiven Protesten rund um eine Veranstaltung der Grünen am Aschermittwoch in Biberach gezeigt, die dann kurzfristig abgesagt werden musste. „So etwas geht gar nicht und darf sich nicht wiederholen“, meinte Kretschmann.
Scharfe Kritik übte Kretschmann an der Verletzung des Geheimhaltungsgrundsatzes im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat und machte deutlich, dass er für die Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes gestimmt habe. "Von einer Abgeordneten des Bundestags ist behauptet worden, ich hätte gegen das Gesetz gestimmt. Da sie es nun mal in die Welt gesetzt hat, muss ich aus Selbstschutzgründen sagen: Es stimmt nicht. Ich habe für dieses Gesetz gestimmt und nicht dagegen", äußerte sich der Grünen-Politiker im Fernsehsender phoenix. Er empfinde das Verhalten der Politikerin, die diese Falschmeldung öffentlich gemacht habe, als "einen schweren Verstoß gegen die Regeln". Schließlich sei der Vermittlungsausschuss ein Gremium, das aus gutem Grund nichtöffentlich tage. "Das Abstimmungsverhalten darf nicht mitgeteilt werden, damit man da frei agieren kann und es zu Kompromissen kommt." Kretschmann bezieht dabei auf die Äußerungen der Abgeordneten Gesine Lötzsch (DIE LINKE) am Donnerstag im Bundestag.
In der Sache bezeichnete Kretschmann das Wachstumschancengesetz als sinnvoll, kritisierte aber die Belastung der Landwirte. Zwar halte er es für richtig, dass die Bundesregierung die Bauern entlaste, aber "die eine Seite der Wirtschaft wird entlastet und die andere Seite, die Landwirtschaft, wird belastet - was macht denn das für einen Sinn? Die Bundesregierung müsste endlich einmal realisieren, dass dies ein schwerer Fehler war, den sie da gemacht hat", so Kretschmann.
Zwei Jahre will Kretschmann noch als Regierungschef in Baden-Württemberg amtieren und sich dann zurückziehen. Die Ankündigung des christdemokratischen Koalitionspartners in seiner Regierung, keinen grünen Nachfolger wählen zu wollen, bewertete Kretschmann als Affront. „Es steht klar im Koalitionsvertrag drin, dass die Grünen den Ministerpräsidenten stellen. Das ist vertraglich vereinbart, und da steht nicht, dass das an mich gebunden ist“, machte der Grünen-Politiker seinen Standpunkt deutlich.