Bochum-Hamme - Das Geläut der Herz Jesu-Kirche

Mit dieser Dokumentation befinden wir uns auf dem Gebiet der 1050 erstmals urkundlich erwähnten Bauernschaft Hamme, genauer im Ortsteil Hundhamme. Nur gut 300 Einwohner zählten Hund- und Goldhamme, und es ist kaum vorstellbar, dass am heutigen Bodelschwingh-Platz, der verkehrsumtosten Kreuzung von A40, Dorstener- und Gahlenscher Straße, einst das 1364 erstmals erwähnte Rittergut Haus Overdyck stand.
Hamme geriet durch die Abteufungen der Zechen Präsident (1840) und Carolinenglück (1847) sowie der Gründung der Gussstahlschmelze durch Jacob Mayer 1842, später dann das Werk „Gußstahlfabrik“ des Bochumer Vereins an der Alleestraße, sehr früh in den Sog der Industrialisierung und wuchs rasch um das Vielfache der Einwohnerzahl, 1904 erfolgte die Eingemeindung nach Bochum. Als nach Beendigung des Kulturkampfes die kath. Kirchengemeinde Hamme von der Muttergemeinde Bochum 1888 abgepfarrt wurde, war die neue Herz Jesu-Kirche nach Plänen des Bochumer Architekten Hermann Wielers bereits im Bau. Das dann nochmal verlängerte Kirchenschiff wurde 1890, der Turm 1892 fertiggestellt. Bereits 1899 war die Kirche wegen Bergschäden nicht benutzbar, die Schadensbeseitigung mündete in der Konsekration von Herz Jesu am 13. Oktober 1900. Bereits nach kurzer Zeit musste die Kirche wegen weiteren Bevölkerungswachstums 1907/08 um das heutige Querhaus und den Chor mit 5 Konchen erweitert werden. Von der ursprünglichen Ausstattung blieb als Hauptwerk der Hochaltar, 1911 von Ferdinand Langenberg aus Goch geschaffen, erhalten. Insgesamt zeigt sich Herz Jesu heute als herrlich weiter, heller Raum, geprägt von der künstlerischen Raumfassung durch Nikolaus Bette (um 1986) sowie durch den Fensterzyklus von Wilhelm Rengshausen. Über diesen Künstler sind so gut wie keine Informationen zu finden. Interessant ist hier, dass die 1958 geschaffenen, farbkräftigen Chorfenster deutlich abstrakter gestaltet sind als die Langhausverglasung von 1961, deren Figuren einen konservativ-ernsten, „volksfrommen“ Habitus zeigen. Außer dem Baujahr 1951 liegen dem Verfasser keine Informationen zur Orgel vor. Was, abgesehen vom Kreuzweg, den Reliefs des ehemaligen Kanzelkorbes und dem Chorgestühl zur originalen, neugotischen Ausstattung gehört, ist dem Verfasser nicht bekannt.
Im 2. Weltkrieg wurde die Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen, aber schon bis 1949 unter großen Opfern und mit bescheidenen Mitteln wieder aufgebaut. Der ehemals gut 60 Meter hohe Turm erhielt ein - zugegeben sehr passend proportioniertes - Faltdach, die Fenstermaßwerke wurden teils nur in Metallrahmen wiederhergestellt, auf Bauzier wurde komplett verzichtet. Eine Turmuhr und Zifferblätter fehlen bis heute. Die Pfarrgemeinde Herz Jesu wurde 2008 aufgelöst und der Bochumer Propsteigemeinde eingegliedert.
Warum der eilige Wiederaufbau? Südöstlich der Kirche befand sich im September 1949 der Festplatz des 73. Deutschen Katholikentages, der ersten überregionalen Großveranstaltung, die der noch jungen Bundesrepublik von den Alliierten gestattet wurde. In der noch größtenteils kriegszerstörten Stadt war die Organisation der Veranstaltung mit 500000 Besuchern eine logistische Meisterleistung. Der Bochumer Verein beteiligte sich hier maßgeblich und hoffte (erfolgreich!), dadurch, sowie durch die in den Montagehallen abgehaltenen Pontifikalämter die weitere, 1947 begonnene Demontage abwenden zu können.
Bis 1949 begnügte man sich in Herz Jesu mit einem 1888 vom Bochumer Verein gelieferten Geläut in f‘ as‘ c‘‘, diese Glocken wurden 1949 ins Sauerland verkauft. Pünktlich zum Katholikentag erklangen dann die 3 großen V12-Glocken c‘ es‘ f‘ vom Turm, sicher vom BVG auch zur Demonstrations- und Werbezwecken genutzt. Das Geläut gelang in Vollendung, die Glocken, vor allem die beiden großen, zeigen trotz der natürlich gekröpften Aufhängung einen sehr singfreudigen Klang, sanfte Tongebung und gut durchziehende Schlagtöne. Die Abstimmung auf das Geläut der benachbarten Kreuzkirche (BVG 1926) ist gelungen. Bei einem Gesamtgewicht von 6080 kg sind alle 3 Glocken in der schweren V12-Rippe gefertigt.
Aufnahme: 18.01.2003 (gemeinsames Sonntageinläuten)
S/W-Foto 1: www.waz.de/sta...
S/W-Foto 2: www.billdownscbs.com
Alle anderen Fotos eigener Provenienz.
Verwendete Quellen/Literatur:
Axel Schäfer/N. Konegen/H. H. Hanke (Hrsg.): Bochum entdecken - 20 Stadtrundgänge durch Geschichte und Gegenwart, Klartext Verlag, Essen 2009, S. 107-121.
Christel Darmstadt (Hrsg.): Sakrale Baukunst in Bochum, Verlag Schürmann + Klagges, Bochum, 2003, S. 68, 71-72 und 222.
S. Schritt: Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation Bochum (BVG) 1851-1970, Glocken und Geläute, Vorläufiges Gesamtverzeichnis für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland, Eigendruck, Trier, 2000.
Wikipedia-Artikel zum Bochumer Katholikentag 1949, abgerufen am 24.05.22: de.wikipedia.o...

[@Glockenfampf]

Das ergänzt sich hervorragend. Ich muss auch sagen, diese Glocken der Kreuzkirche sind für 1926 ja absolut fantastisch! Und auch das V12 Geläut ist toll. Auf der Aufnahme entsteht der Eindruck, das Geläut seit trotz der offenbar gekröpften Aufhängung recht dosiert vom Turm kommt und erstaunlich gut durchzieht. Die singenden Glocken von nebenan fördern den Eindruck auf jeden Fall nochmal.

[@stahlglocke]

Ja, da hat der BVG in beiden Fällen Spitzenleistung geliefert. Die Glocken der Kreuzkirche profitieren zusätzlich von der Glockenstubenakustik. Die vielen kleinen Öffnungen sind verglast, die Scheibchen jeweils in der oberen Hälfte leicht nach innen geneigt, hinzu kommt eine Menge Beton. Ich hab das Geläut von Herz Jesu erst kürzlich wieder gehört - die Aufnahme bietet nicht nur einen Eindruck, die Klänge kommen tatsächlich so weich und gesammelt vom Turm, wahrlich ein V12-Paradebeispiel!

[@Sosias84]

Sehr schöne Präsentation!

[@glocken_lucagans]

...also doch lieber eine ältere Aufnahme? Jedenfalls ist bei dieser hier der Zusammenklang mit den Glocken der Kreuzkirche wirklich toll, die Geläute ergänzen sich hervorragend! Auch interessant, wie zum Angelus die beiden anderen Glocken eher unerwartet hinzukommen. Die Präsentation ist wie immer sehr gut gelungen, ein informativer und gut zu lesender Begleittext mit einem durch viele Fotos und ergänzende Infos nicht langweilig werdenden Video!

[@stahlglocke]

Na dann sage ich mal Danke fürs Lob :-)

[@GKD2015]

Sehr schön, das mal so zusammen zu hören! Ich kannte das bislang nur von Datenunterlagen. Erklingt das Sonntagseinlauten denn immer noch so oder ist das mittlerweile nicht mehr der Fall?

[@stahlglocke]

Die Frage kann ich nicht 100%tig beantworten. Die Glocken von Herz Jesu sind aber im Normalfall bis zu uns nach Altenbochum zu hören, Samstags höre ich aber immer nur den Angelus. Das Sonntageinläuten war dort gleichzeitig Geläut zur Vorabendmesse - die es aber schon seit Jahren nicht mehr gibt.

[@GKD2015]

@@stahlglocke Aah, alles klar, dann wird das wohl nicht mehr der Fall sein. Sehr schade, das Zusammenläuten hätte man ruhig so bestehen lassen können. Aber wenn keine Uhr vorhanden ist, muss es dafür ja entsprechend Personal geben...

[@liestmit8264]

Es ist keinesfalls so, dass die Glocken alleint vom BV finanziert wurden. Es gab auch nennenswerte private Spenden. So ist die kleine Glocke gemäß familiärer Überlieferung von meinem Großvater finanziert worden, weshalb sie auch die Josefs-Glocke genannt wurde.

[@stahlglocke]

Vielen Dank für den wertvollen Hinweis. Sollten Sie weitere Informationen oder gar Unterlagen haben, würde ich mich über eine Email freuen!