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Eingebettet in die Felder und Fluren des Nördlinger Ries findet sich zwischen Nördlingen und Harburg das kleine Dorf Appetshofen. Im Turm der evangelischen Jakobuskirche in der Ortsmitte verbirgt sich ein ebenso stattliches wie kurioses Geläute, bestehend aus neun Glocken. Mit fünf nebeneinander liegenden Halbtonschritten zählt das Ensemble von Appetshofen zu den eigentümlichsten Geläuten unseres Landes. Aufgrund der beengten Verhältnisse im Turm, der keineswegs für neun Glocken ausgelegt ist, hängen alle Instrumente an gekröpften Jochen. Sind in der Beschreibung des Bistums Augsburg von 1872 noch insgesamt "drei Glocken im Thurme" erwähnt, von denen eine aus dem 16. Jhdt. stammt und die anderen beiden zu den frühen, vom Bochumer Verein gegossenen Stahlglocken zählen, ist heute von diesem Geläutesatz (as' b' c'') keine Glocke mehr erhalten. Nachdem die hist. Bronzeglocke zu Rüstungszwecken eingeschmolzen wurde, befanden sich ab 1942 nur noch die beiden Stahlglocken von 1872 auf dem Turm. Johannes G. Mehl, seinerzeit Glockensachverständiger der Bayerischen Landeskirche und Pfarrer von Appetshofen, war bald nach Kriegsende darum bemüht, ein neues Geläute anzuschaffen und zugleich in der Jakobuskirche eine Musteranlage installieren zu lassen. Die visionären Pläne Mehls sahen dabei ein zwölfstimmiges Geläute mit der einzigartigen Schlagtonfolge a°-e'-g'-a'-ais'-h'-c''-cis''-d''-e''-g''-a'' vor, finanziert ausschließlich über Spenden. Dafür scheute der Pfarrer keine Mühen und konnte einige seiner Gemeindemitglieder überzeugen, je eine Glocke im Gedenken an ihre im Krieg gefallenen Angehörigen zu stiften - nur die beiden kleinsten und die größte Glocke konnten nicht mehr beschafft werden. Bereits 1948 entstand in der Apoldaer Glockengießerei Franz Schilling die Lukasglocke - sie ist das einzige Instrument aus Bronze auf dem Turm. Die acht Stahlglocken wurden schließlich 1949 vom Bochumer Verein in der sog. V-12-Rippe gegossen. Das Ensemble ist dabei als Registriergeläute konzipiert, was bedeutet, dass über das Kirchenjahr hinweg je nach Anlass verschiedenste Geläutekombinationen erklingen, nie aber mehr als sechs Glocken gemeinsam, da sich die Tonfolge aufgrund der charakteristischen, aber sicherlich auch ein wenig chaotischen Halbtonreihung harmonisch nicht für ein Zusammenläuten aller Glocken eignet. So sieht die von Pfr. Mehl mit viel Liebe zum Detail erstellte Läuteordnung für ausgewählte Sonn- und Feiertage im Kirchenjahr sogar eigene, teils recht exotische Kombinationen vor. Stellvertretend seien das Pfingstgeläute in der Tonfolge e' a' h' cis'' d'' e'', das Geläute zum 10. So. n. Trinitatis (Zerstörung Jerusalems) e' g' ais' c'' d'' oder das Tritonus-Geläut zum Auszug der Konfirmation e' g' ais' cis'' e'' angeführt, um die Vielseitigkeit des Ensembles darzustellen. Im Kontrast dazu steht das harmonische Feiertagsgeläute in den Tönen e' g' a' c'' d'' e'', das ausschließlich zum Osterfest sogar noch um eine siebte Glocke (h') erweitert wird. Abschließend gilt für den facettenreichen Appetshöfer Glockenchor lediglich: hinhören, hinnehmen und staunen. Ein solches Geläute findet sich sicherlich kein zweites Mal.
Gl. 1 | Jakobus | e' | 1505 kg | 1515 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 2 | Paulus | g' | 910 kg | 1280 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 3 | Petrus | a' | 605 kg | 1140 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 4 | Markus | ais' | 510 kg | 1080 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 5 | Luther | h' | 420 kg | 1010 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 6 | Lukas | c'' | 315 kg | 780 mm | Franz Schilling & Söhne, Apolda (1948)
Gl. 7 | Matthäus | cis'' | 310 kg | 900 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 8 | Jugenddank | d'' | 270 kg | 860 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Gl. 9 | Johannes | e'' | 180 kg | 790 mm | Bochumer Verein f. Gußstahlfabrikationen (1949)
Erstmals erwähnt wird Appetshofen mitsamt seiner Pfarrkirche St. Jakobus als Abtshof von Ellwangen bereits im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt auch der älteste Teil des Gotteshauses, die unteren Geschosse des spätgotischen Chorturmes mitsamt den Fresken und dem Kreuzrippengewölbe im Inneren der Kirche. Mit der Erhöhung des Turmes um den Oktogon im Jahre 1615 und dem Neubau des Kirchenschiffs ab 1775 erhielt das Gotteshaus schließlich sein heutiges Erscheinungsbild. 1957 errichtete man abschließend einen Verbindungsbau zwischen Kirche und Pfarrhaus.
Ablauf der Vorstellung:
00:00 Eindrücke der Kirche, Geläutekombinationen
02:45 Einzelglocken
17:45 Vollgeläute (!)
Herzlichen Dank der emsigen Mesnerin für die freundliche Ermöglichung der Aufnahme und Felix für das gelungene Wochenende.
Quellen:
1* Turmbesteigung 11.12.21.; 2* bit.ly/36WLCVE, Stand: 10.04.2022.; 3* Steichele, Anton von: Das Bistum Augsburg, Bd. 3. S.1172-1173.;
Text, Ton und Bild: Ben Schröder, "Glockenzeit".