„Du darfst nichts fordern!“ - Trotz als Traumareaktion (1)

Trotz wird üblicherweise mit der kindlichen Entwicklung, v.a. im Zusammenhang mit Autonomiephasen (im Alter von etwa 2 Jahren und im Jugendalter) assoziiert und ist Teil einer gesunden Entwicklung.
Doch Trotzverhalten kann auch zum Problem werden, etwa wenn es noch im Erwachsenenalter als Traumareaktion in Erscheinung tritt.
In dieser Serie geht es darum, Trotz als Traumareaktion zu verstehen und alternative Strategien aufzuzeigen.
Einige meiner Quellen (englischsprachig):
my.clevelandcl...
strategicpsych...
www.claritycgc...
pmc.ncbi.nlm.n...
www.tandfonlin...
#Trotzverhalten #Anforderungen #Anforderungsvermeidung

[@Prometheus393]

Deine Videos sind immer der Hammer! 😮 Das ist jetzt einmal ein Thema, das mich nicht so stark betrifft. Ich habe den Test gemacht und bin im unteren Mittelfeld gelandet. Aber mein Vater war zu 100% so! Daran ist auch die Ehe meiner Eltern zerbrochen. Das war nicht auszuhalten. Wenn ich das höre, kriege ich Gänsehaut, weil das so sehr zutrifft. Ich kann jetzt vielleicht auch ansatzweise verstehen, warum meine Mutter einige Macken hat. Wenn sie ihn nur um eine Kleinigkeit gebeten hat, ist er oft ausgerastet. Das hat mich als Kind total verunsichert und ich habe mich gefragt, warum er sich so anstellt. Meine Mutter ist sich so ungeliebt vorgekommen, weil er ihr gefühlt nix gegönnt hat, sie nicht unterstützt hat und oft nicht nett zu ihr war. Er war dann wie ein kleines trotziges Kind! Jetzt habe ich Worte und eine Erklärung für etwas, das ich bisher noch nicht in Worte fassen konnte. Aber ich habe den Test für ihn gemacht, als Außenstehender. Er hatte so viel Wut in sich. Er war auch ein Rachemensch und er ist so gemein geworden, wenn meine Mutter ihn mit Anforderungen konfrontiert hat. Dann waren wir alle eine Zumutung für ihn. Ich warte schon auf die nächsten Folgen. Bevor ich Verständnis für ihn haben kann, muss ich erst noch sacken lassen wie schlimm das für uns als Familie war. Danke ❤

[@mindmambo]

Herzlichen Dank für deinen Kommentar! :-) Es freut mich, dass dir die Videos dabei helfen, manche Dinge besser einzuordnen. Oft ist das ja nur ein Faktor von vielen, aber wenn man es versteht, kann man vielleicht auch irgendwann Verständnis dafür aufbringen, was nicht bedeutet, dass man das Verhalten so hinnehmen muss. Es ist für Kinder sicher sehr belastend, wenn ein Elternteil sehr starkes Trotzverhalten zeigt. Danke für das Teilen deiner Perspektive und Erfahrungen! Die Perspektive eines Kindes, das solches Verhalten bei einer erwachsenen Bezugsperson erlebt, wird ja oft vergessen und man blickt eher auf den Partner. Daher: Ein sehr wichtiger Beitrag!

[@debuaheini]

Danke….ich konnte sehr viel mitnehmen….mit dem Testergebnis bin ich zufrieden…hin und wieder trotze ich schon einmal….😂

[@mindmambo]

Hin und wieder geht ja voll durch den TÜV! :-) Reaktanz ist ja auch ein Mittel, um kognitive Dissonanz zu reduzieren. Wenn wir uns nie wehren würden, wäre das das andere Extrem. Schlimm wird die Überabgrenzung dann, wenn man sich selbst mit extremem Trotzverhalten schadet und sich isoliert. Und wenn man auch keinerlei Verantwortung dafür übernehmen kann, sondern immer nur alles anderen zuschreibt, oft ohne eigene Konsequenzen zu ziehen. Wenn ein Verhalten zu einem Entwicklungshindernis wird, ist es auf alle Fälle dysfunktional. Dass man ab und an übers Ziel hinausschießt, ist ja normal. Wir sind Menschen... :-)

[@tanjasidus7832]

Ich habe auch den Eindruck, das wenn Kinder durch ihr Trotzverhalten ihre 12:19 „Ziele“ erreichen konnten , es auch im Erwachsenenalter weiter fortführen.

[@mindmambo]

Herzlichen Dank für den Kommentar! :-) Kinder können lernen, dass Trotzverhalten in bestimmten Kontexten funktioniert und dann wird es in diesen Kontexten aufrechterhalten. Das stimmt! Aber sie gelangen da schnell an Grenzen, weil es eben nicht überall funktioniert. Würde es dauerhaft funktionieren, wäre es ja funktional. Das Problem bei Trotz als Traumareaktion ist, dass das Verhalten noch aufrechterhalten wird, obwohl es längst nicht mehr funktioniert. Aber weil es einst als Bewältigungsstrategie in einer dysfunktionalen Umgebung entwickelt wurde, verspricht es sehr viel Sicherheit (dieses Versprechen kann es aber nicht halten). Es wird dann zum selbstschädigenden Verhalten, das man nicht mehr kontrollieren kann - stattdessen wird man selbst davon kontrolliert. Dafür gibt es diese sehr zutreffende Definition: Das Gegenteil von Trauma ist Entscheidungsfreiheit. Die Schwierigkeit besteht aber besonders bei dieser Traumareaktion darin, den Gedanken, dass es noch andere Möglichkeiten als Trotz und den vollständigen Widerstand gibt, zuzulassen. Das eigene Trotzverhalten wird dann z.B. häufig als Durchsetzungsfähigkeit gedeutet und die Umgebung ist immer "das Problem" - also: die anderen. Auf diese Weise wird das Muster dann ewig aufrechterhalten, obwohl es längst nicht mehr funktioniert. Wer sehr starke Trotzmuster hat, leidet selbst unheimlich darunter und fühlt sich unfähig, etwas dagegen zu tun, weil das Muster quasi die Offenheit für alternative Strategien verstellt. Deswegen ist es auch in therapeutischen Kontexten sehr schwer, damit umzugehen, weil sich ja jemand ständig verschließt.

[@tanjasidus7832]

@ zu deinen 1. 3 Sätzen. Ja sie mögen an ihre Grenzen stoßen, jedoch meine ich das manche daraus andere Strategien entwickeln , um in der unbewussten „ Trotzphase“ zu verteidigen , als deren unbewussten Schutzstrategien.

[@tanjasidus7832]

@ und natürlich funktioniert es nicht überall, deshalb wird in meinem empfinden sich von diesen Menschen abgewandt und Befürworter „ gesucht“. Eigentlich wenn ich mir das den Kopf gehen lasse, nicht wirklich gesund

[@mindmambo]

@@tanjasidus7832 Trotz als Traumareaktion kann nicht 1:1 mit dem "normalen" kindlichen Trotz gleichgesetzt werden. Deshalb scheitern "herkömmliche" Erziehungsmaßnahmen auch bei Systemsprengern und verstärken das Problem sogar noch. Das Problem ist in dem Fall das dysfunktionale System.

[@xyDamian]

Also in meiner Kindheit hätte mir trotziges Verhalten nicht das Leben gerettet, im Gegenteil. Was ich tun musste, ist zu lernen, zu verstummen, alles zu ertragen und zu kuschen. Von daher muss ich erst wieder lernen, mich selbst zu vertreten, statt jede "negative" Emotion aufzugeben, mich immer nur zurückzunehmen, zu pathologisieren und zu unterdrücken. Und wer wendet denn schon im Übermaß Trotz an? Sehe ich eigentlich nicht so oft...

[@mindmambo]

Herzlichen Dank für den Kommentar! Es gibt verschiedene Copingstrategien, die in dysfunktionalen Systemen zur Anwendung kommen. Das sucht sich ein Kind nicht wirklich aus. Absoluter Gehorsam ist eine davon, Trotz ist eine andere. Bei Kindern und Jugendlichen spricht man im Zusammenhang mit extremem Trotz als Traumareaktion u.a. von "Systemsprengern" (es gab auch einen Film zu dem Thema, der diesen Titel hatte). Und im Erwachsenenalter gibt es diese Copingstrategie auch noch - das sind dann Menschen, die z.B. ständig ihren Job verlieren oder deren Beziehungen ständig zerbrechen, obwohl sie das eigentlich nicht wollen und obwohl der Job oder die Beziehung an sich nicht missbräuchlich o.ä. war. Aber sobald es eben zu Anforderungen oder zu Konflikten kommt, wird eben diese starke Abwehrreaktion ausgelöst. Diese Menschen leiden selbst sehr stark darunter, weil sie da das Gefühl haben, sich nicht wirklich selbst zu entscheiden - es entscheidet das autonome Nervensystem, das wir nur sehr schlecht bewusst kontrollieren können. Bei manchen wird eine Fawn-Reaktion ausgelöst (z.B. Unterwerfung), bei anderen eine Fight-Reaktion (z.B. Trotz). Langfristig kann man umlernen - wir sind da zum Glück flexibel. Aber dazu muss man auch wissen, was gerade mit einem passiert. Und dass Trotz eben auch eine Traumareaktion sein kann, ist im deutschsprachigen Raum eben noch nicht so bekannt (im englischsprachigen Raum gibt es deutlich mehr zu dem Thema). In einem Kommentar unter diesem Video schreibt übrigens jemand, dass der Vater diese Reaktion gezeigt hat und wie problematisch und verwirrend das für ein Kind ist, das so etwas erlebt. Um das nochmal klarzustellen: Es geht hier NICHT darum, dass jemand in missbräuchlichen Beziehungen oder ungesunden Arbeitsverhältnissen bleiben soll, sondern darum, dass Menschen, die z.B. mit starker Aggression auf Anforderungen oder konstruktive Kritik reagieren und eigentlich gerne auf eine gesunde Weise damit umgehen wollen würden, verstehen können, was auch dahinterstecken kann. Wenn einem immer wieder das Gleiche passiert und man aber in einem bestimmten Job bleiben möchte, weil er einem gefällt und das aber nicht kann, weil es in bestimmten Situationen immer wieder zu einer heftigen Abwehrreaktion (bis hin zur Kündigung) kommt, dann hat man in der Regel ein Interesse daran, das zu verstehen, weil es einen sonst sehr stark im Leben einschränkt.

[@xyDamian]

@@mindmamboVielen Dank für die ausführliche Antwort. Ja, tatsächlich wissen nicht alle psychologisch geschulten Personen, dass solche Reaktionen die Überbleibsel einer traumatisierenden Umgebung sein können. Die gehen dann leider gar nicht in diese Analyse mit dem Patienten (im klinischen Setting zum Beispiel), werden abweisend und wollen die Betroffenen bspw. nur mittels des Credos des "Nicht-Bewertens" zur gedankenlosen Unterdrückung von Emotionen bewegen. Damit wird aber ein Teil der dysfunktionalen Dynamik von früher wiederholt, die das Kind übergestülpt bekommen hat. Das ist kein integrativer, kein transformierender Ansatz. Am ehesten wissen sowas nur Therapeuten mit einer Trauma-Zusatzausbildung...